Sonne, Sandstrand, Meer - und Judo

Die Dominikanische Republik ist für viele Urlauber immer noch ein Traumziel. Weißer Sandstrand, kristallblaues Meer und meterhohe Palmen wünscht sich der durchschnittliche Tourist; Interessse für die Einwohner dieses Landes zeigen dagegen nur wenige.

 

 

Ein etwas anderer Reisebericht

Die meisten Pauschalurlauber lernen die Bevölkerung der Dominikanischen Republik nur flüchtig als Hotelangestellte, Bus- und Taxifahrer kennen. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, besseres Verständnis für die Lebensbedingungen im Land über das gemeinsame Interesse am Sport zu erwerben. Sport, das heißt in diesem konkreten Fall Judo.

Der Deutsche Judo-Bund war sehr hilfsbereit, hatte einen Namen, eine Telefon- und eine Faxnummer vom Dominikanischen Judoverband. Aber würde sich wohl irgend jemand 9.000 Kilometer entfernt die Mühe machen, ein privates Fax aus Deutschland zu beantworten? Ob überhaupt in der Nähe des Feriengebiets, weitab von der Hauptstadt Santo Domingo, Judo trainiert würde? Binnen einer Woche kam das Antwort-Fax: Ich könne José Valerio anrufen, in der nur sechs Kilometer vom Feriengebiet entfernten Provinzhauptstadt Puerto Plata. Eine Kopie des Faxes sei ihm schon übersandt worden. Und Gelegenheit am lokalen Training teilzunehmen, werde es sicherlich geben. José bestätigt das alles bei unserem dann folgenden Telefongespräch, ich solle nur an den Judogi denken.

Judo bei 33 Grad

Zur verabredeten Zeit fährt mich ein Taxi an José’s Haus nach Puerto Plata, der nahegelegenen Hafenstadt. Bei 33 Grad im Schatten und sehr hoher Luftfeuchtigkeit erwartet mich José mit dem Judogi unter dem Arm bereits auf der Straße. José unterrichtet Sport an einer öffentlichen Schule, hat dort einen Klassenraum zum Dojo umfunktioniert und bietet an drei Nachmittagen Judo an. José hat den 4. Dan und ist höchster Repräsentant der Nord-Region des Dominikanischen Judoverbandes, einem Verband mit 7.000 Mitgliedern.

Ein Judogi koste einen Monatslohn

Was hindert uns in Deutschland alles, Judo zu betreiben: da schwankt die Motivation, da sind andere konkurrierende Abendveranstaltungen, da sind die familiären Verpflichtungen. Der zentrale Hinderungsgrund, Judo in der Dominikanischen Republik zu betreiben, ist ganz einfach gefunden: ein Judogi kostet 1.000 Pesos, der monatliche Mindestlohn beträgt ebenfalls 1.000 Pesos und ein Busfahrer muß bei 2.000 Pesos Monatslohn und etwas Trinkgeld sehen, wie er seine fünfköpfige Familie durchbringt. Kurs: 100 Pesos = 12,20 DM (alle Angaben Stand Juli 1996).

Kokosmilch nach dem Training

Trotz allem kommen acht Judokas verschiedener Graduierungen zum Training. Die Begrüßung ist herzlich. Weißer Gast und farbige Gastgeber finden sich schnell in dieses nicht alltägliche Miteinander hinein. Bereits das Aufwärmen läßt mich intensiv schwitzen. Der Körper paßt sich langsam der hohen Temperatur und Luftfeuchtigkeit an. Meine innere Uhr hat sich am zweiten Tag nach der Ankunft noch nicht ganz umgestellt und zeigt jetzt auf Mitternacht, Ruhezeit. Nach dem Aufwärmen folgt Fallschule, danach Wurftechniken mit immer wieder wechselnden Partnern. Anschließend Randoris. Die Paare erweisen sich als recht ausgeglichen, gute Wurfansätze werden verwirklicht, jeder hat Gelegenheit, sich auszuprobieren. Allein meine Kondition ist schnell verbraucht, ich schnappe nach Luft und schaue bei den letzten Randoris vom Mattenrand aus zu. Sechs Gelegenheiten zum gemeinsamen Training ergeben sich insgesamt. Vor dem Training sprechen wir über das Leben in der Stadt und die Bedingungen an der Schule. Nach dem Training sprechen wir über das Judo in der Dominikanischen Republik, bei einem Mix aus Passionsfrucht- und Orangensaft in einem Lokal unter freiem Himmel oder einfach am Straßenrand, wo ein fliegender Händler eine Kokosnuß mit der Machete aufschlägt und wir reichlich Saft direkt aus der Frucht trinken.

Der Tourismus bringt Probleme

Die Schule mit dem Dojo ist ein ebenerdiger, terrassenförmig angelegter Bau. Sie ist 20 Jahre alt und schon sehr verbraucht. Seit einiger Zeit wird überall, noch ohne sichtbaren Erfolg, repariert. Viel entsteht dagegen in Eigeninitiative. Je die Hälfte der Klasse erhält vormittags beziehungsweise nachmittags Unterricht. Die Klassenstärke von 45 Schülern drückt auf die Effizienz des Unterrichts und zehrt an der Kraft der Lehrer. Abends wird ferner Unterricht für Berufstätige angeboten. Kinder aus einem sozialen Brennpunkt unweit der Schule nutzen den schuleigenen Bolzplatz, vorausgesetzt, der duch das Schulgelände verlaufende Bach hat das Sportgelände nicht gerade einmal wieder nach einem Regen unter Wasser gesetzt. Mit dem wachsenden Tourismus sind gerade unter Jugendlichen von 16 bis 17 Jahren die Drogen und Prostitution zu einem Problem geworden. Maßnahmen der Polizei erhalten viel Publizität, mindern das Problem vielleicht, lösen es aber nicht. Denn das Pro-Kopf-Einkommen ist sehr niedrig und staatliche Maßnahmen zur Förderung der Jugend erreichen die Bedürftigen oft nicht.

Olympiahoffnungen

Obwohl die Sportlerdelegation für Atlanta kurz vor ihrer Abreise den (noch bis August 1996 amtierenden) Staatspräsidenten von ernsten finanziellen Engpässen berichtet, nehmen doch 16 Athleten an den Olympischen Spielen teil: Judo (eine Kämpferin, zwei Kämpfer), Ringen, Gewichtheben, Boxen, Tischtennis, Tennis. Leiter der olympischen Delegation ist der Präsident des Dominikanischen Judoverbands. Den weiblichen Judokas des Landes werden auch international Chancen eingeräumt. Bei Veröffentlichung dieses Artikels werden wir schon wissen, inwieweit sich Hoffnungen erfüllt haben. Anläßlich eines Empfangs vor der Abreise der Dominikanischen Delegation, zwei Tage vor Beginn der Spiele, stellt der Staatspräsident dann doch noch die Finanzierung sicher. Sportler der Dominikanischen Republik nahmen 1964 erstmals an einer Olympiade teil. 1972 in München war das Land erstmals in der Disziplin Judo vertreten. Nach Atlanta ging 1996 die größte und durchweg international erfahrende Olympia-Delegation der Dominikanischen Republik.

Der Weg zum Judo-Leistungssportler führt über die auch uns bekannten Graduierungen vom 5. Kyu (gelb) bis zum 1. Kyu (braun). Auf Vereinsbeiträge und Prüfungsgebühr wird in Puerto Plata verzichtet. Die Matte ist Spende eines internationalen Verbandes. Umkleiden gibt es nicht, empfindsame Naturen ziehen sich auf die Toilette zurück. Auch Duschen fehlen.

Fazit: Zur Dominikanischen Republik gehören nicht nur Palmen, Sandstrand und Meer, sondern auch die sieben Millionen Einwohner - und Judo, in einer sehr idealistischen, ursprünglichen Form.

 

(Erschienen in: Der sanfte Weg, Die Judofachzeitschrift für Niedersachsen; 1/97; Originalartikel als pdf)

(Günther)


Weitere Bilder aus der Dominikanischen Republik:

               

               


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Letzte Änderung: 07.06.2018