Dienstreise nach Sao Paulo

Vor mir liegen ein klarer Auftrag, gerade einmal vier Arbeitstage vor Ort, Überstunden und Aussicht auf ein gemeinsames Abschlußessen mit den Kollegen. An zwei Trainingsabenden in Braunschweig werde ich fehlen und irgendwo im Hinterkopf keimt die Hoffung, an einem Abend in Sao Paulo Judo trainieren zu können. Nach der Ankunft am Abend geht die Fahrt vom Hotel zum Büro am nächsten Morgen ungewöhnlich schnell. Wegen der Urlaubssaison sind weniger Fahrzeuge auf der Straße. Am ersten Arbeitstag kommt ein ganzer Schwall von Informationen auf mich zu, der erst einmal zu ordnen ist. Gegen Feierabend fragen mich die Kollegen nach den Plänen. Ganz oben auf meiner Wunschliste stehen Entspannung und Schlaf. Ich erkundige mich aber schon mal vorsorglich, ob man mir am nächsten Tag Hilfe bei der Suche nach einem Judoverein geben könnte.

Am darauffolgenden Vormittag wird nach etwa zehn vergeblichen Anrufen klar, daß bislang noch niemand das Training nach den Sommerferien wieder aufgenommen hat. Aber da kommt mir der Zufall zuhilfe. Der Sohn eines Kollegen hat vor Jahren einmal Judo in einem Verein betrieben, den wir bislang noch nicht angerufen haben. Was für ein Glück, Shineito Mito, 7. Dan, Japaner, hat diese Woche gerade wieder das Training in seinem Judo- und Karateverein „Mito" aufgenommen.

Shineito Mito hatte schon am Telefon gesagt, daß er für ein Gasttraining keine Gebühren berechnet. So überreiche ich zur Begrüßung ein paar Werbegeschenke aus dem Büro. Mir etwas Geduld verständigen wir uns, der eine auf Spanisch, der andere auf Portugiesisch. Shineito Mito führt mich zum Tatami und stellt mich einem dunkelhäutigen Brasilianer vor, der das gemeinsame Training von Schwarzen, Japanern und Weißen leitet. Sechzehn Judoka haben sich zum Training nach den Ferien zusammengefunden. Vom Gelbgurt bis zum 2. Dan sind alle Leistungsstufen vortreten.

 


Eine Tasche voller Erinnerungen brachte Günther aus Brasilien mit

 

Zunächst laufen wir fünf Minuten im Kreis. Anschließend teilen wir uns in Gruppen auf: eine absolviert kurze Sprints an der Längsseite der Matte, die anderen Gruppen machen Crunches, Liegestütze oder Schlußsprünge. Nach jeweils zehn Minuten wird gewechselt. Dann stellt mich der Trainer der Gruppe vor, die mit spontanem Applaus reagiert. Ich bin peinlich berührt, so groß war die Leistung ja nun auch wieder nicht, mich fern der Heimat für das Training aufgerafft zu haben. Wahrscheinlich sollte aber lediglich signalisiert werden; herzlich willkommen, viel Spaß, wir integrieren dich gern.

Wir machen mit Fallschule in allen Richtungen weiter. Nachdem sich dann anschließend Paare zusammengefunden haben, dreht jeder Würfe seiner eigenen Wahl ein.

Immer vier Paare ziehen ihre gemeinsame Bahn längs über die Matte. Die Anfeuerungsrufe des Trainers werden lauter und eindringlicher, wir steigern die Geschwindigkeit kontinuierlich. Danach brauchen wir eine Verschnaufpause, der Müssiggang im Urlaub (und bei mir der Klima- und Zeitunterschied) machen sich bemerkbar. Wir laufen ein paar Runden und lockern uns dabei.

Schließlich gehen immer vier Paare auf die Matte zum Randori (Übungskampf) von drei Minuten. Dann wird gewechselt. Jeder ist bemüht, Technik einzusetzen und zu verbessern. Gute Wurfansätze werden realisiert, die Atmosphäre ist kooperativ. Nach fünf Randoris bleibt nicht mehr viel Kondition übrig. Alle Judokas verteilen sich auf der Matte für ein paar Entspannungsübungen. Am Ende dieses ersten Trainings nach der Sommerpause sind wir recht abgekämpft und herrlich entspannt. Bei der Verabschiedung auf der Matte erhalte ich zu meiner Überraschung eine Sporttasche mit dem Emblem des Judovereins, sowie einen Wandkalender als Erinnerung an das Training.

Auf dem Weg zurück ins Hotel kaufe ich mir noch zwei große Flaschen Mineralwasser und Limonade und versinke dann recht bald in einen tiefen und erholsamen Schlaf.

 

(Erschienen in: post ab Nr. 19 - 2/97; Vereinszeitung des Post SV Braunschweig; Originalartikel als pdf)

(Günther)


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Letzte Änderung: 07.06.2018